Die Debatte, die im englischen Fußball geführt wird, seitdem Manchester United durch das 1:0 beim FC Burnley die Tabellenführung der Premier League übernommen hat, fasste der stets hörenswerte "Football Writers Podcast" gerade treffend zusammen. "Are Manchester United contenders or pretenders?" – so lautet der Titel der aktuellen Folge. Übersetzt bedeutete das ungefähr: Sind die Red Devils ein echter Meisterschaftskandidat oder nur Möchtegern-Favorit?
Nach eigenem Selbstverständnis gehört der Rekord-Champion natürlich an die Tabellenspitze, doch dass er rechtzeitig vor der Reise zu Titelverteidiger und Erzfeind FC Liverpool am Sonntag tatsächlich zum ersten Mal seit mehr als drei Jahren dort steht – das ist absurd. Noch vor anderthalb Monaten war die Mannschaft Fünfzehnter. Das Aus in der Champions-League-Vorrunde im Dezember nach der 2:3-Niederlage bei RB Leipzig belegte wieder einmal, wie weit der Branchenriese ins Mittelmaß abgerutscht ist nach dem Abschied von Sir Alex Ferguson vor acht Jahren.



Liverpool und ManCity schwächeln – und bieten damit Chancen
Doch anders als in der jüngeren Vergangenheit, als sich Manchester City und Liverpool in der Premier League gegenseitig zu Höchstleistungen trieben, muss man in dieser seltsamen, wegen Corona unberechenbaren Saison nicht perfekt sein, um in England ganz oben zu stehen. Man muss einfach nur besser sein als der Rest. Und das ist Manchester United, zumindest im Moment.
Während Meister Liverpool von Verletzungen und Erschöpfung geplagt ist, sind die Red Devils die Mannschaft der Stunde. Sie haben seit Anfang November in der Liga nicht mehr verloren und zeigten zuletzt endlich die lange vermisste Konstanz, auch gegen schwächere Teams. Auswärts ist die bisher letzte Niederlage sogar schon fast ein Jahr her. Sie gab es passenderweise beim FC Liverpool.
Defensive und Mentalität: Solskjaer hat mit United die nächste Stufe erreicht
Zwar konnte der viel kritisierte Trainer Ole Gunnar Solskjaer die Zweifel an seiner Eignung für den Job bei einem der größten Klubs der Welt noch nicht final ausräumen, doch er sammelt im Moment Argumente in eigener Sache und verdient Anerkennung für den Aufschwung.
Kontern konnte seine Mannschaft schon immer gut. Zuletzt hat er auch die Defensive stabilisiert und eine Sieger-Mentalität geschaffen, die ihren Ausdruck in vielen knappen oder spät errungenen Siegen findet. Außerdem gelingt es dem Trainer mit bemerkenswerter Ruhe, die ständigen Störgeräusche um den einstigen Weltrekord-Transfer Paul Pogba zu moderieren. Dieser schoss gegen Burnley das entscheidende Tor.
Trotzdem ist die Tabellenführung mit Vorsicht zu genießen. Ob Manchester United wirklich Chancen auf die erste Meisterschaft seit 2013 hat oder eher aus Versehen an die Spitze der Rangliste gespült wurde, wie in dieser Saison auch schon der FC Everton, Tottenham Hotspur, Leicester City oder der FC Southampton – das muss sich noch zeigen.
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Die ideale Möglichkeit dazu bietet das Duell mit Liverpool. Viel zu verlieren hat Solskjaers Mannschaft nicht. Eine Niederlage wäre keine Überraschung, sondern der Normalfall. Mit einem Sieg allerdings würden die Red Devils echte Ambitionen auf den Titel anmelden.