Leipzig. Sportjournalist, Kenner der Dresdner und Leipziger Fußball-Szene, Sachsenring-Liebhaber, Zeitzeuge, Bewahrer, Historiker. Uwe Karte, 53, sagt von sich selbst, dass er ein Geschichtenerzähler ist. Fürs Fernsehen hat er unter anderem die von Walter Fritzsch, Matthias Sammer oder auch Michael Ballack erzählt. Unaufgeregt, detailversessen, mit Blick für das Besondere. Man sieht und hört gerne hin. Und man liest ihn gerne. Der sensationelle Olympiasieg der DDR-Fußballer 1976 in Montreal, mehrere Werke über Dynamo Dresden – mit dem TV-Job verdient er seine Brötchen, die Bücher sind seine Leidenschaft.
Zuweilen sind sie Hilfe zur Selbsthilfe für andere. „Stübner – Popstar wider Willen“ ist so ein Buch. Karte hat Jahre gebraucht, um dem scheuen einstigen Dynamo-Helden Jörg Stübner näher zu kommen, das nach der Wende untergetauchte Phantom für ein Buchprojekt zu gewinnen. Die Hartnäckigkeit des Journalisten ist 2015 erfolgreich. Stübner öffnet sich und sein privates Archiv, hat mit dem Buch wieder eine Aufgabe, in der er aufgeht. Zum Jahreswechsel 2018/2019 gibt es weitere Fortschritte. Stübs sitzt wieder auf der Tribüne bei Dynamo, er hat eine neue Wohnung, einen neuen Mini-Job. Auch das Buch nimmt Formen an. Kartes Plan: Stübner soll den Buchversand des Buches organisieren, in Lesungen eingebunden werden, ein paar Euro verdienen, sich aus der Umklammerung des Hartz-4-Korsetts lösen. Alles unter dem Thema Selbstwertgefühl und Wiedereingliederung.
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Am 24. Juni 2019 stirbt Stübner in der Wohnung seiner Mutter in Dresden. Herzversagen mit 53 Jahren. „Dieses Leben war von vorn bis hinten außergewöhnlich. Es scheint, als wäre alles – im Guten wie im Bösen – vorgezeichnet und unabänderlich gewesen“, sagt Karte. „Selbst das Ende war wie bei einem Popstar. Dabei war sein größter Wunsch, ein ganz normales Leben zu führen. Stübs mit dem Buch in seiner Hand wäre grandios gewesen.“
Schnell, ausdauernd, bissig
Karte hat „Stübner – Popstar wider Willen“ vollendet, den Versand der lesenswerten 416-seitigen Erinnerungen an einen fantastischen Fußballer und feinfühligen Menschen muss er nach dem Tod des Kurzzeit-Gefährten selbst übernehmen. Das reich bebilderte Buch beschreibt den Werdegang des ersten Popstars im DDR-Fußball und die Annäherung zwischen Autor und gefallenem Fußball-Helden. Karte: „Stübs hat mir sein Vertrauen geschenkt. Jeden Tag ein bisschen mehr.“
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Früh erfolgreich: Stübner ist mit 18 Stammspieler bei Dynamo Dresden, gehört zur goldenen Generation Ulf Kirsten, Ralf Minge, Heiko Scholz, Matthias Sammer, Torsten Gütschow, Uwe Pilz. Der Freiberger ist schnell, ausdauernd, bissig. Und wenn er den Ball hat, schaltet er sich nach vorne ein. Eine explosive Mischung zwischen Lothar Matthäus und Jens Jeremies. An guten Tagen ist Stübner Weltklasse. Siehe 1985, als der 47-fache Nationalspieler dem großen Michel Platini die Locken legt.
Krisenmanagement vornehmlich mit Alkohol
Wende-Wirren: Während weniger talentierte Ost-Fußballer nach der Wende im Westen Karriere machen, bleibt Stübner in Dresden und verliert nach und nach das, was ihn ausmacht. Kraft und Vertrauen in den eigenen Körper. Stübner, der schon in der Kinder- und Jugendsportschule Dresden wie ein Profi trainieren muss, hat mit 25 Jahren seinen Zenit überschritten, mehr Kilometer in den Beinen als viele 35-Jährige. Eine Verletzung jagt die nächste. Stübners Krisenmanagement hat vornehmlich mit Alkohol zu tun.
1993 setzt Dynamo Stübner vor die Tür, diverse Comeback-Versuche – unter anderem bei Sachsen Leipzig unter Achim Steffens – scheitern. Stübner taucht bis auf diverse unschöne Berichte des Boulevards aus der Öffentlichkeit ab, lebt von der Hand in den Mund.
Stübner von Dresdnern nicht vergessen
Im Juni 2019 will Stübner ins Riesengebirge auswandern, die Hitze in Dresden macht ihm zu schaffen. Fünf Tage später ist er tot.
Bei der Beerdigung geben ihm Thomas Doll, Frank Rhode, Andreas Thom, Ralf Minge, Ulf Kirsten, Heiko Scholz und viele andere die Ehre.
Und heute? Immer frische Blumen auf dem Grab. Man hat ihn in Dresden nicht vergessen, den Stübs.
Stübner – Popstar wider Willen (www.uwekarte.de, 24,90 Euro)